Mit der Verkündung der Kaiserlichen Botschaft hatte Reichskanzler Otto von Bismarck am 17. Dezember 1881 bahnbrechende Neuerungen der sozialen Sicherung in Deutschland eingeleitet. Auch wenn sie nicht alle grundlegend neu waren, so stellten sie doch einen gewaltigen Entwicklungssprung dar. Tatsächlich konnte sich Bismarck nämlich an den jahrzehntelangen, ja teilweise jahrhundertelangen Erfahrungen selbstverwalteter Unterstützungsvereine und Hilfskassen orientieren. Dabei sah er, dass das bemerkenswerte Engagement früher Selbstverwalter für einen allgemeinen gleichen Versicherungsschutz für die Zielgruppe der vor allem gefährdeten Arbeiter nicht ausreichte und auch staatliche Vorschriften wenig bewirkten, wenn sie – wie in der „Vorbismarckzeit“ – nur halbherzig vorgenommen wurden. Kurzum: Weil insofern Freiwilligkeit und Eigeninitiative sowie unzureichende Gesetze nicht ausreichten, bedurfte es nach Bismarcks Ansicht konsequenter Interventionen des Staates als Gesetzgeber. Damals entstanden Prinzipien, die bis heute anerkannt und gültig sind, im Laufe der Jahrzehnte aber im Schatten des Zeitgeistes sowie der ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen teilweise äußerst unterschiedlich umgesetzt wurden. Dazu gehören im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Versicherungspflicht (§ 5 SGB V), die weitgehende Vorgabe der Leistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips (§ 2 SGB V), die solidarische Finanzierung (§ 3 SGB V) und die Selbstverwaltung (§ 29 SGB IV). Während so zum Beispiel in der Frühzeit der Sozialgesetzgebung Eigenverschulden bei Erkrankungen und „Simulantentum“ sowie das Vertrauen auf das Durchsetzungsvermögen der Versicherten eine große Rolle spielten, standen in den 1970er- und 1980er-Jahren eher fürsorgliche Bemühungen im Vordergrund mit dem Ziel, den einzelnen Versicherten alle ihnen zugedachten Leistungen tatsächlich zugänglich zu machen. Da dazu formale Ansprüche nicht immer ausreichen, boten sie individuelle Beratung und Betreuung an. Das neue Stichwort hieß Service. Heute wiederum kündigt Bundeskanzler Olaf Scholz beim Bürgergeld eine härtere Prüfung der Bedürftigkeit an, „um dessen Treffsicherheit zu erhöhen“. Sein Stichwort heißt „Vermeidung von Sozialbetrug“. Familienministerin Lisa Paus wiederum will das Geflecht vieler Transferleistungen für Kinder bündeln und sie dadurch von einer „Holschuld“ der Familien zu einer „Servicepflicht“ des Staates machen.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.2191-7345.2024.10.03 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 2944-7127 |
Ausgabe / Jahr: | 10 / 2024 |
Veröffentlicht: | 2024-10-14 |
Um Ihnen ein optimales Webseitenerlebnis zu bieten, verwenden wir Cookies. Mit dem Klick auf „Alle akzeptieren“ stimmen Sie der Verwendung von allen Cookies zu. Für detaillierte Informationen über die Nutzung und Verwaltung von Cookies klicken Sie bitte auf „Anpassen“. Mit dem Klick auf „Cookies ablehnen“ untersagen Sie die Verwendung von zustimmungspflichtigen Cookies. Sie haben die Möglichkeit, Ihre Einstellungen jederzeit individuell anzupassen. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.